Aggression ist nicht böse

Hunde sind vorbildliche Strategen. Sie tun, was Erfolg hat. Sie lassen, was keinen Erfolg hat. Das gilt auch für aggressives Verhalten. Hunde zeigen es, um ein Ziel zu erreichen. Sie vertreiben, was sie bedroht. Sie kämpfen um Ressourcen wie Futter, Wasser, Territorien und natürlich um potentielle Fortpflanzungspartner. Und immer wägen sie ab: Habe ich Chancen? Wie hoch ist mein Risiko? Lohnt sich, was ich tue?

Für uns Menschen ist es wichtig, sie zu verstehen. Wir müssen lernen, warum unsere Hunde etwas tun. Und wir müssen lernen, was sie damit meinen. Wir müssen wissen, was Aggression beim Hund ist, und wir müssen die Rituale, die zwischen ihnen und uns und zwischen Hunden untereinander, ablaufen, verstehen. Nur so können wir Probleme lösen, die entstehen, wenn die Aggression unerwünscht ist oder gar gefährlich für andere Menschen oder Hunde.

Im ersten Schritt müssen wir uns von menschlicher „Denke“ freimachen. Aggression ist nicht böse. Der Begriff beschreibt lediglich ein Handeln, das Gegenteil vom Meiden einer Situation oder einer Flucht vor einem Reizauslöser darstellt.

Aggression ist für Hunde ein Weg, Konflikte zu lösen. Sie ist jedem Hund "in die Wiege gelegt". Wie rasch er angesichts eines Reizauslösers aggressives Verhalten „abrufen“ wird, hängt von seinen Erbanlagen ab, jedoch mindestens genauso von der persönlichen "Erfolgsbilanz" und dem Ergebnis der situativen „Kosten-Nutzen-Rechnung“, die jeder Hund in Sekundenbruchteile „durchkalkuliert“, bevor er ein Verhalten zeigt.

Gründe, sich aggressiv zu verhalten, gibt es viele. Neben dem Kampf um wichtige Ressourcen ist es in erster Linie die Angst, die Hunde „rasend“ machen kann. Muß ein Hund erkennen, daß er vor dem, was er fürchtet, nicht flüchten kann, ist sein logischer Schluß, die Bedrohung vertreiben zu müssen. Wer sein Heil nicht in der Flucht findet und mit dem Rücken zur Wand steht, kann nur noch kämpfen - das ist auch bei uns Menschen so.

Mit dem Unterschied, daß wir Menschen allem stets eine moralische Komponente zuordnen. Unsere Hunde tun das nicht. Was zu einer besonderen Crux führt. Denn ob sie wollen oder nicht, unsere Hunde müssen nach unseren Spielregeln und Gesetzen leben und seien sie noch so widernatürlich.

Nur allzu oft produzieren wir allein dadurch, daß wir Menschen sind und uns menschlich verhalten, das aggressive Verhalten unserer Hunde, das wir so überhaupt nicht tolerieren wollen.

Wir führen unsere Hunde beispielsweise oft frontal auf andere Menschen und Hunde zu. Diese Art der Annäherung ist für den Caniden ein aggressiver Akt - ein höflicher Hund tut sowas nicht, könnte man sagen. Via Leine verhindern wir darüberhinaus fast jedes natürliche Meide- und Fluchtverhalten. Wir stellen unsere Hunde gleichsam mit dem Rücken an die Wand, an der in dicken Lettern die einzig hundlich logische Lösung steht: Angriff ist die beste Verteidigung, greife an, sonst bist Du verloren.

Wenn wir Menschen also wollen, daß das Gepöbele an der Leine, das attackieren von Artgenossen oder auch das allseits gefürchtete Jagen von Joggern, Radfahrern oder Autos aufhört, müssen wir die Strategien unserer Hunde zunächst verstehen, bevor wir sie umkehren können. Auch hierfür steht Close Comradship - den hundgerechten Weg zu finden, der aggressives Verhalten einfach überflüssig macht.

Solange Menschen denken, daß Tiere nicht fühlen, müssen Tiere fühlen, daß Menschen nicht denken.

Leonardo DaVinci mit Hund

Die Mitteilungsmöglichkeit des Menschen ist gewaltig, doch das meiste was er sagt, ist hohl und falsch. Die Sprache der Tiere ist begrenzt, aber was sie damit zum Ausdruck bringen ist wichtig und nützlich.

(Leonardo DaVinci)